
Was ist das OHSS?
Das Ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS) ist eine ernsthafte und potenziell gefährliche Komplikation bei IVF- (In-vitro-Fertilisation) und ICSI- (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion)-Behandlungen. Es steht in engem Zusammenhang mit der Hormonstimulation, die zur Eizellreifung eingesetzt wird.
OHSS ist eine übermäßige Reaktion der Eierstöcke auf hormonelle Stimulationspräparate, meist Gonadotropine (z. B. FSH). Es kommt zur:
- Vergrößerung der Eierstöcke
- Flüssigkeitsverschiebung in den Bauchraum (Aszites), manchmal auch in Brusthöhlen
- Blutkonzentration und erhöhter Gerinnungsneigung
- In schweren Fällen: Nierenversagen, Thrombosen, Atemnot
⚠️ Warum ist OHSS relevant bei IVF/ICSI?
- Zwangsläufiges Risiko durch Hormonstimulation:
- Die ovarielle Stimulation ist notwendig, um mehrere Eizellen zu gewinnen.
- Dabei besteht immer ein Risiko für OHSS, besonders bei übermäßiger Reaktion.
- Gefährdung der Patientinnengesundheit:
- OHSS kann zu Krankenhausaufenthalten, Thrombosen und in sehr seltenen Fällen zum Tod führen.
- Die Lebensqualität kann stark beeinträchtigt werden.
- Beeinträchtigung des IVF-/ICSI-Verlaufs:
- Embryotransfer kann verschoben werden (Freeze-all-Strategie), um OHSS zu vermeiden oder zu behandeln.
- In schweren Fällen muss der gesamte Zyklus abgebrochen werden.
- Ethik und Verantwortung in der Reproduktionsmedizin:
- Ärzt*innen stehen in der Verantwortung, das OHSS-Risiko zu erkennen und zu minimieren.
- Eine informierte Einwilligung der Patientin muss auch die Risiken von OHSS umfassen.
🧬 Wer ist besonders gefährdet?
- Junge Frauen (<30 Jahre)
- Frauen mit Polyzystischem Ovarsyndrom (PCOS)
- Frauen mit hohem Anti-Müller-Hormon (AMH)
- Frühere OHSS-Episoden
- Hohe Follikelanzahl und hohe Östradiolspiegel während Stimulation
In der aktuellen Ausgabe des Human Fertility, dem wissenschaftlichem Fachblatt der BFS ( British Fertility Society) wurde eine Richtlinie für den Umgang mit diesem Thema veröffentlicht.
Ziel der Richtlinie
Die BFS-Richtlinie zielt darauf ab, Ärztinnen und Ärzten evidenzbasierte Empfehlungen zur Prävention von OHSS bei Patientinnen zu geben, die sich einer ovarialen Stimulation mit Gonadotropinen im Rahmen assistierter Reproduktionstechnologien (ART) unterziehen. Durch frühzeitige Identifikation von Risikofaktoren und Anwendung präventiver Maßnahmen soll die Inzidenz und Schwere von OHSS reduziert werden.
Methodik
Eine systematische Literaturrecherche in medizinischen Datenbanken wie MEDLINE, EMBASE und Cochrane Library wurde durchgeführt. Die Guideline Development Group (GDG) bewertete die Evidenz hinsichtlich Risikofaktoren, Stimulationsprotokollen, Monitoringmethoden und präventiven Strategien. Empfehlungen wurden unter Berücksichtigung von Wirksamkeit, Kosten und praktischer Umsetzbarkeit entwickelt
Risikofaktoren für OHSS
Vor der Stimulation:
- Junges Alter (unter 30 Jahre)
- Polyzystisches Ovarialsyndrom (PCOS)
- Hohe Anti-Müller-Hormon (AMH)-Werte (>3,5 ng/mL)
- Niedriger Body-Mass-Index (BMI)
- Frühere Episoden von OHSS
Während der Stimulation:
- Hohe Anzahl reifender Follikel (>17)
- Hohe Östradiolspiegel (>3500 pg/mL)
- Gewinnung von mehr als 15 Eizellen
Präventionsstrategien
1. Wahl des Stimulationsprotokolls
- GnRH-Antagonisten-Protokolle: Empfohlen für Hochrisikopatientinnen, da sie das OHSS-Risiko signifikant senken.
- GnRH-Agonisten als Auslöser (Trigger): Reduzieren das Risiko von OHSS im Vergleich zu hCG-Auslösern.
2. Medikamentöse Maßnahmen
- Metformin: Einsatz bei PCOS-Patientinnen kann das OHSS-Risiko verringern.
- Cabergolin: Ein Dopaminagonist, der die Gefäßpermeabilität reduziert und somit OHSS vorbeugt.
3. Anpassung der Stimulationsintensität
- Milde Stimulationsprotokolle: Verwendung niedrigerer Gonadotropindosen (≤150 IU/Tag) zur Reduktion des OHSS-Risikos.
- „Coasting“: Vorübergehendes Aussetzen der Gonadotropingabe bei hohen Östradiolwerten, um das Risiko zu minimieren.
4. Embryotransfer-Strategien
- „Freeze-all“-Ansatz: Kryokonservierung aller Embryonen mit späterem Transfer, um das Risiko von OHSS zu verringern.
Monitoring und Nachsorge
- Regelmäßige Ultraschalluntersuchungen zur Überwachung der Follikelentwicklung.
- Serum-Östradiolmessungen zur Einschätzung des OHSS-Risikos.
- Engmaschige klinische Überwachung bei Hochrisikopatientinnen, insbesondere nach Auslösen des Eisprungs.
Empfehlungen für die klinische Praxis
- Individuelle Risikoabschätzung: Berücksichtigung patientenspezifischer Faktoren vor Beginn der Stimulation.
- Anpassung des Stimulationsprotokolls: Wahl des Protokolls basierend auf dem individuellen Risikoprofil.
- Aufklärung der Patientinnen: Information über Symptome von OHSS und die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung.
Dr. Peet, 23.05.2025